GKV-Finanzentwicklung im 1. Halbjahr 2023

Defizit der Krankenkassen steigt auf über 600 Millionen Euro

19.09.2023·Die 96 gesetzlichen Krankenkassen haben im 1. Halbjahr 2023 ein Defizit von rund 626 Millionen Euro verbucht. Dies hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) am 15.09.2023 in Berlin mitgeteilt. Ursache für das hohe Minus sei auch das im Oktober 2022 von der Ampelkoalition beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG).

Den Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 151,1 Milliarden Euro standen Ausgaben in Höhe von 151,8 Milliarden Euro gegenüber. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten wuchsen bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 1,1 Prozent um 4,6 Prozent. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz liegt seit Jahresbeginn 2023 konstant bei 1,51 Prozent und damit unterhalb des Ende Oktober 2022 vom BMG für 2023 um 0,3 Punkte angehobenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 1,6 Prozent.

Hohes Kassenminus durch GKV-FinStG

Ursächlich für das Defizit der Kassen ist laut BMG eine Regelung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Diese verpflichtet die Kassen in 2023 zur Zahlung von insgesamt 2,5 Milliarden Euro aus ihrem Vermögen an den Gesundheitsfonds. Die individuellen Finanzreserven der Krankenkassen werden damit für einen kassenübergreifenden Solidarausgleich zur Stabilisierung der Beitragssätze herangezogen. Auch die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds wurde halbiert, sodass übersteigende Mittel genutzt werden können, um die Finanzierungslücke in 2023 weiter zu schließen.

Über den Gesundheitsfonds hat die Bundesregierung schon während der Pandemie Ausgaben des Staates vorfinanziert, die dann zumindest teilweise wieder erstattet wurden. Insgesamt finanzieren die Beitragszahler der GKV über die Krankenkassen und den Gesundheitsfonds gesamtgesellschaftliche und damit versicherungsfremde Leistungen von jährlich bis zu 48,5 Milliarden Euro, welche ordnungspolitisch richtig aus Steuergeldern und nicht aus Beiträgen der Kassen erbracht werden müssten (vgl. "Links zum Thema").

Weiter deutliche Reduzierung der Rücklagen

Die Finanzreserven der Krankenkassen schmolzen im 1. Halbjahr 2023 um weitere 0,7 Milliarden Euro auf 9,7 Milliarden Euro ab. Dies entspricht rund 0,4 Monatsausgaben. Das gesetzliche Mindestmaß für die Rücklage beträgt 0,2 Monatsausgaben. Seit Ende 2018 wurden die Rücklagen der Kassen damit um rund 11,3 Milliarden Euro abgebaut, davon alleine um 5,1 Milliarden Euro in den vergangenen 24 Monaten.

Stand der GKV-Rücklagen
30.06.2023: 9,7 Milliarden Euro
31.12.2022: 10,4 Milliarden Euro
31.12.2021: 11,0 Milliarden Euro
30.09.2021: 13,6 Milliarden Euro
30.06.2021: 14,8 Milliarden Euro
31.12.2020: 16,7 Milliarden Euro
31.12.2019: 19,8 Milliarden Euro
30.09.2019: 20,6 Milliarden Euro
30.06.2019: 20,8 Milliarden Euro
31.12.2018: 21 Milliarden Euro

Unterschiedliche Finanzentwicklung nach Kassenarten

Defizite erzielten die Allgemeinen Ortskrankenkassen (271 Millionen Euro), die Ersatzkassen (244 Millionen Euro), die Betriebskrankenkassen (111 Millionen Euro) sowie die Knappschaft (69 Millionen Euro). Einen Überschuss erzielten die Innungskrankenkassen (64 Millionen Euro) und die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse (5 Millionen Euro).

Ergebnis des Gesundheitsfonds

Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 16.01.2023 über eine Liquiditätsreserve von 12,0 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. Halbjahr ein Defizit von 5,6 Milliarden Euro. Durch die Absenkung der Obergrenze der Liquiditätsreserve werden zusätzliche Mittel an die Krankenkassen ausgeschüttet, um die individuellen Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen zu stabilisieren. Bei den (Beitrags-)Einnahmen verzeichnete der Fonds eine Steigerung zum Vorjahreszeitraum von 5,9 Prozent. Verantwortlich hierfür seien insbesondere die zuletzt inflationsbedingt kräftigen Tariflohnsteigerungen. In der zweiten Jahreshälfte sei mit einer abflachenden Veränderungsrate zu rechnen.

Entwicklungen bei den Ausgaben

Bei einem Anstieg der Leistungs- und Verwaltungsausgaben im 1. Halbjahr 2023 von 4,6 Prozent stiegen die Leistungsausgaben um 4,9 Prozent. Hierbei schlägt sich der Inflationsdruck im Gesundheitswesen zunehmend auch in den regelhaften Vergütungsanpassungen in den verschiedenen Leistungsbereichen nieder. Die Verwaltungskosten reduzierten sich um 2,0 Prozent, was maßgeblich auf die im Vorjahreshalbjahr gebildeten hohen Altersrückstellungen einer einzelnen Krankenkasse zurückzuführen ist. Ohne Berücksichtigung von Altersrückstellungen stiegen die Verwaltungskosten um 4,1 Prozent.

Stationäre Behandlungen
Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen entwickeln sich mit 7,0 Prozent weiterhin äußerst dynamisch (1. Quartal 2023: +7,7 Prozent). Ursächlich hierfür sei die Kombination aus einer sehr dynamischen Preiskomponente, steigenden Fallzahlen sowie insbesondere die mit 12,5 Prozent erneut stark gestiegenen Pflegepersonalkosten.

Arzneimittel
Weiterhin dämpfend wirkt die Erhöhung der gesetzlichen Rabatte pharmazeutischer Unternehmer durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln, die um 2,4 Prozent stiegen.

Ambulante Behandlung
Die Ausgaben der GKV für ambulant-ärztliche Behandlungen stiegen im 1. Halbjahr um 1,0 Prozent. Dämpfend wirkten u.a. der deutliche Rückgang von Corona-spezifischen Abrechnungsziffern (z. B. Testungen).

Prävention, Reha, Krankenpflege
Stark gestiegen sind die Ausgaben für Schutzimpfungen mit 17,8 Prozent, für häusliche Krankenpflege mit 12,0 Prozent sowie für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen mit 11,1 Prozent. Letztere wiesen nach den pandemiebedingten Einbrüchen der vergangenen Jahre schon 2022 eine überdurchschnittliche Dynamik auf. Im Bereich der Schutzimpfungen ist die starke Wachstumsrate insbesondere auf die Ausgaben für die Abgabe von Impfstoffen gegen Gürtelrose und FSME zurückzuführen. Die Dynamik bei der häuslichen Krankenpflege dürfte primär im Tariftreuegesetz begründet sein, das am 1. September 2022 in Kraft trat.

Bei der Interpretation der Daten des 1. Halbjahres sei laut BMG zu berücksichtigen, dass die Ausgaben in vielen Leistungsbereichen, insbesondere bei Ärzten und Zahnärzten, noch von Schätzungen geprägt sind, da Abrechnungsdaten häufig noch nicht oder nur teilweise vorliegen.

Zusatzbeitragssatz 2024 bis zum 01.11.2023

Der GKV-Schätzerkreis wird die Versichertenentwicklung, die Ausgaben und die Einnahmen der GKV für das laufende und das kommende Jahr Mitte Oktober prognostizieren. Das BMG wird daraufhin bis zum 1. November unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Schätzerkreises den durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2024 bekannt geben.


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