KKH Kaufmännische Krankenkasse|04.05.2023

PRESSEMITTEILUNG

Die Macht der Beauty-Filter: Magersucht durch Social Media?

Hannover (kkdp)·Massiver Anstieg von Essstörungen bei jungen Frauen

Medienkonsum, Social Distancing, Ängste? Immer mehr Jugendliche leiden laut Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse unter Essstörungen wie Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Vor allem bei den zwölf- bis 17-Jährigen jungen Frauen registriert die KKH einen massiven Anstieg während der Corona-Krise - von 2020 auf 2021 um rund 30 Prozent. Das ist die mit Abstand größte Veränderung im Alters- und Geschlechtervergleich.

Durch den starken Anstieg während der Virus-Pandemie leiden mittlerweile 18 von 1.000 zwölf- bis 17-jährige junge Frauen an einer Essstörung. 2020 und im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es noch 13 von 1.000 Teenagerinnen, 2011 noch 11 von 1.000. Laut KKH-Hochrechnung dürften bundesweit mittlerweile etwa 50.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren betroffen sein. 79 Prozent davon sind Mädchen und junge Frauen. Das Dramatische: Die Dunkelziffer ist hoch, denn die Daten bilden nur ärztlich diagnostizierte Fälle ab.

Fake-Ideale als Treiber

Ist es lediglich die Corona-Krise, die vor allem immer mehr Teenagerinnen in Magersucht, Bulimie & Co. treibt? KKH-Psychologin Franziska Klemm: "Die Gründe für eine Essstörung sind vielfältig und reichen von traumatischen Erlebnissen wie Missbrauch über familiäre Konflikte bis hin zu Leistungsdruck und Mobbing." Eine Rolle spielen auch Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok & Co. und die Schönheitsfilter, die man dort über das eigene Gesicht legen kann: Der Boom dieser vermeintlich perfekten Selfies und Videoclips zeichnet ein unrealistisches und gefährliches Körperideal. "Solche Vorbilder können die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und auch dem eigenen Körper forcieren. Das kann die Entwicklung eines gestörten Essverhaltens begünstigen, vor allem, wenn Jugendliche bereits unter psychischen Problemen leiden oder einen geringen Selbstwert haben", erläutert Klemm.

In der Pandemie haben sich Kinder und Jugendliche nicht nur stärker mit Sozialen Medien sowie den dort vermittelten Bildern beschäftigt. "In den Lockdownphasen fehlte ihnen vor allem der Realitätsbezug und somit auch der Vergleich, wie Freunde und Mitschüler im echten Leben ohne Filter aussehen", erläutert die KKH-Expertin. Im Verlauf der Pandemie seien stärkende Faktoren wie der persönliche Austausch untereinander sowie Hobbys und ein geregelter Alltag wegfallen. "Das sind alles haltgebende Strukturen, die vor allem in der Pubertät wichtig sind", sagt Franziska Klemm. Gerät dieses haltgebende Gefüge in einer so wichtigen Entwicklungsphase für eine längere Zeit ins Wanken, kann das die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stark beeinflussen. "Einige haben dann versucht, diesen Kontrollverlust zu kompensieren, indem sie sich selbst kontrollieren, zum Beispiel mit Diäten und Sport", erläutert die KKH-Psychologin.

Magersucht & Co. immer früher ein Thema

Essstörungen sind nach wie vor ein vornehmlich weibliches Phänomen. Der Anteil bei den 12- bis 17-jährigen jungen Frauen ist während der Pandemie sogar noch einmal von 76 auf 79 Prozent gestiegen. Die Krankheit beginnt meistens in der Pubertät. Mädchen kommen immer früher in diese Entwicklungsphase, weshalb auch Essstörungen zunehmend eher auftreten. Mädchen beschäftigen sich zudem mehr mit sich selbst als Jungen, sind empfindsamer für Kontrollverluste, spüren einen höheren Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen. Für sie ist auch die Eigenwirkung im Netz ein größeres Thema als für Jungen, wie eine forsa-Umfrage im Auftrag der KKH bereits belegt hat: Demnach nutzen mehr Mädchen das Smartphone zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien als Jungen (28 zu 16 Prozent).

Haben Betroffene erst einmal eine Essstörung entwickelt, ist es mit einfachen Ratschlägen nicht getan. Denn Bulimie und Magersucht sind schwere psychische Erkrankungen, die häufig mit Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendem Verhalten oder Suchterkrankungen einhergehen. Angehörige und Freunde sollten bei Verdacht auf typische Symptome achten: auf eine allgemein gereizte oder gedrückte Stimmung, sozialen Rückzug und Gewichtsveränderungen sowie auf auffälliges Essverhalten (u. a. Diät als Dauerzustand, eingeschränkte Nahrungsauswahl, Verzehr großer Mengen), Erbrechen, Einnahme von Abführmitteln, exzessiven Sport. Alarmzeichen sind auch, wenn Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig viel Aufwand für das eigene Aussehen betreiben, geliebte Hobbys plötzlich aufgeben und sich vor allem mit Selfies in Szene setzen. Auch vermehrte Beobachtungen solcher Verhaltensweisen können zu einem Anstieg der Fälle in der Pandemie geführt haben. So sind in den Lockdownphasen Familien enger zusammengerückt, wodurch Eltern solche Auffälligkeiten schneller wahrgenommen haben.

Blog ermöglicht Austausch unter Betroffenen

"Den Betroffenen fällt es allerdings oft schwer sich einzugestehen, dass sie Hilfe benötigen. Dies ist aber ein ganz wichtiger Schritt für die Genesung", betont Franziska Klemm. Oft fällt es leichter, sich gegenüber anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu öffnen. Deshalb hat die KKH zusammen mit zahlreichen Partnern den Blog InCogito initiiert, in dem 16- bis 24-Jährige über Essstörungen und alles andere, was sie beschäftigt, schreiben können - ehrlich und ohne Weichzeichner. Unterstützt von Experten wollen die jungen Redakteure mit ihren Beiträgen zur positiven Diskussion anregen und Mut machen, über Probleme zu sprechen. Außer den regelmäßigen Redaktions- und Selbsthilfegruppentreffen bietet InCogito direkten Zugang zu einer Beratung von Betroffenen für Betroffene. Umgesetzt wird InCogito durch den Verein Jungagiert e.V. Die KKH unterstützt zudem das Projekt MaiStep der Universitätsmedizin Mainz, das sich an Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse richtet. Ziel ist es, ein gestärktes Körperbewusstsein zu vermitteln, um der Entwicklung von Essstörungen frühzeitig entgegenzuwirken. Weitere Informationen gibt es unter InCogito : Der Blog für dich! (in-cogito.de) sowie unter MaiStep - Schulprogramm zur Prävention von Essstörungen / KKH.

Erläuterungen zur Datenanalyse

Basis für die Auswertung nach ICD-10 (F50) sind anonymisierte Daten der KKH-Versicherten aus den Jahren 2011, 2019, 2020 und 2021.

Experten unterscheiden unter dem Code F50 drei Hauptformen von Essstörungen:

die Magersucht (Anorexia nervosa), bei der Menschen bis hin zu einem lebensbedrohlichen Untergewicht hungern - getrieben von der Angst vor einem zu dicken Körper,
die Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa), bei der Betroffene einen starken Zwang verspüren, ihr Körpergewicht zu kontrollieren und nach Essattacken erbrechen oder Abführmittel missbrauchen, um nicht zuzunehmen,
die Binge-Eating-Störung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essattacken einhergeht und zu starkem Übergewicht oder gar Adipositas führt.

Die Umfragedaten beziehen sich auf die Befragung des Marktforschungsinstituts forsa im Auftrag der KKH unter 1.004 Eltern mit 10- bis 18-Jährigen Kindern im Jahr 2020.

Franziska Klemm ist Psychologin und Mitarbeiterin im Fachbereich Prävention der KKH Kaufmännische Krankenkasse. Ihre Fachgebiete sind Stress, Sucht sowie psychosoziale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen.

Grafiken zum Thema Essstörungen

Pressekontakt:

Daniela Preußner
Pressesprecherin
0511 2802-1610
presse@kkh.de


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