Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen|19.01.2023

PRESSEMITTEILUNG

Gutachten 2023: Gesundheitssystem für Krisen weiterhin nicht gut gewappnet

Bonn/Berlin (kkdp)·SARS-CoV-2-Pandemie, Krieg in Europa, Hochwasser, Waldbrände und Hitzewellen als Folgen des Klimawandels, unterbrochene Lieferketten, Energieknappheit: Selten wurde unser Land gleichzeitig durch so viele weitreichende Krisen herausgefordert. Diese und andere Herausforderungen betreffen immer auch die Gesundheit der Menschen und ihre gesundheitliche Versorgung.

Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege (SVR)* die Krisenfestigkeit unseres Gesundheitssystems genauer untersucht. Die Ergebnisse sind in dem neuen Gutachten - "Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung künftiger Krisen" - festgehalten, das heute Bundesminister Lauterbach überreicht wurde.

SVR-Vorsitzender Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach fasst zusammen: "Aus den aktuellen Krisen wurden bislang nicht die notwendigen Schlüsse gezogen. Was den überfälligen Strukturwandel insbesondere in der Krankenhausversorgung und die Krisenvorbereitung angeht, haben wir weniger ein Erkenntnis- als ein Daten- und Umsetzungsdefizit. Das darf nicht so bleiben. Die bisherige Selbstwahrnehmung, dass in Deutschland alles gut organisiert ist und wir angesichts eines ausdifferenzierten Rettungs- und Gesundheitssystems bestens auch auf unvorhergesehene Entwicklungen vorbereitet sind, war und ist trügerisch. Unser Gesundheitssystem ist hochkomplex, ein behäbiges Schönwettersystem, das unter unzulänglicher Digitalisierung und einem formaljuristisch leerlaufenden Datenschutzverständnis leidet. Zugleich ist dieses System zwischen Bund, Ländern und Landkreisen bzw. Kommunen unzureichend koordiniert - nicht nur im Krisenfall. Das Ergebnis ist häufig schlechter, als angesichts des hohen Mitteleinsatzes zu erwarten wäre. Weder auf Folgen des Klimawandels noch auf Pandemien ist unser Gesundheitssystem ausreichend vorbereitet. Hier müssen wir dringend die Krisenfestigkeit oder, wie man heute auch gerne sagt: die Resilienz, stärken."

Der Sachverständigenrat hebt hervor, dass es für viele Bereiche und Herausforderungen bereits gute Analysen und konkrete Konzepte zur Resilienzstärkung gibt: zum Beispiel Pandemie- oder Hitzepläne. Aber sie verstauben oft in Schubladen anstatt konsequent umgesetzt und eingeübt zu werden.

Dazu der stellv. Ratsvorsitzende, Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner: "Es geht um Gesundheit und Menschenleben, aber auch um die materielle Basis unserer Gesellschaft und das dadurch Ermöglichte, darunter Kultur und Bildung. Dafür bedarf es einer koordinierten Vorbereitung auf den Krisenfall mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen. Um zukünftige Krisen besser zu bewältigen, muss unser Gesundheitssystem, ja unser Land insgesamt, dringend krisenresistenter und strukturell widerstandsfähiger werden."

Ratsmitglied Prof. Dr. med. Petra Thürmann, klinische Pharmakologin und leitende Krankenhausärztin, betont: "Insbesondere müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung umfassend genutzt werden. Wir müssen die verantwortliche Datennutzung zur Verbesserung der Versorgung und der epidemiologischen Lageanalyse dringend vereinfachen. Die entsprechenden Möglichkeiten der EU- Datenschutzgrundverordnung sollten endlich auch in Deutschland umgesetzt werden. Seitenlange Einwilligungserklärungen bieten keine Datensicherheit. In der SARS-CoV-2-Pandemie war Deutschland weitgehend im Blindflug unterwegs. Bei den Verläufen und Folgen von Infektionen, Behandlungen und Impfungen mussten wir uns häufig auf wesentlich bessere Daten z.B. aus Dänemark oder Israel verlassen."

Da krisenhafte Herausforderungen in ihrer Art nicht vorhersagbar sind, zeitgleich oder gehäuft auftreten können und oft viele Lebensbereiche gleichzeitig betreffen, empfiehlt der Rat einen All-Gefahren-Ansatz ("all hazards"). Im Hinblick darauf, dass Gesundheit von vielen anderen Lebens- und damit Politikbereichen - etwa Umwelt, Arbeit, Wohnungs- und Städtebau, Verkehr, Wirtschaft und Bildung - beeinflusst wird, fordert er darüber hinaus, das übergreifende Prinzip Gesundheit in allen Politikbereichen ("Health in All Policies") zu stärken.

Um aufzuzeigen, wie das Gesundheitssystem und die Menschen, die in diesem System arbeiten, besser auf künftige Krisen vorbereitet werden können, beleuchtet der Sachverständigenrat einzelne Versorgungsbereiche: den Öffentlichen Gesundheitsdienst, die Akutversorgung und die Langzeitpflege. Untersucht werden zudem konkrete Strategien zur Stärkung der Lieferketten, der zielgruppengerechten Kommunikation und der wissenschaftlichen Politikberatung sowie zur Verbesserung des akuten Krisenmanagements. Im letzten Teil des Gutachtens werden diese Empfehlungen exemplarisch auf die absehbaren Herausforderungen des Gesundheitssystems durch Hitze und weitere Pandemien angewandt.

Das Gutachten wird nun dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet. Es ist unter www.svr-gesundheit.de abrufbar und erscheint auch im Buchhandel.

*) Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege ist ein unabhängiges Gremium wissenschaftlicher Politikberatung auf Grundlage von § 142 SGB V. Seine Mitglieder in der Berufungsperiode 1.2.2019 - 31.1.2023 sind: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner, Prof. Dr. rer. oec. Beate Jochimsen, Prof. Dr. med. Christof von Kalle, Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer, Prof. Dr. rer. oec. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. med. Petra A. Thürmann.

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im Gesundheitswesen und in der Pflege
Tel +49 (0)228 99 441-2461
svr@bmg.bund.de


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