Zusatzbeitragssätze bis 5 Prozent

Studie zur GKV-Finanzierung fordert Einnahmen- statt Ausgabenorientierung bei Reformen

03.09.2025·Die aktuellen Beitragssteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden sich spätestens zum Jahreswechsel 2025/26 fortsetzen. Dabei, so der GKV-Spitzenverband, würde im Durchschnitt aller Kassen erstmals die 3-Prozent-Schwelle übersprungen, wenn die Bundesregierung nicht zeitnah gegensteuere. Notwendig sei zudem eine Neuausrichtung der Politik hin zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Bliebe es bei der bisherigen Politik, drohten bis 2029 Zusatzbeitragssätze bis knapp 5 Prozent.

Laut Studie des IW steigen die GKV-Ausgaben seit fast einem Vierteljahrhundert pro Jahr um durchschnittlich 1 Prozentpunkt stärker als die beitragspflichtigen Einnahmen. Setze sich dieser Trend fort, seien weitere Beitragssatzerhöhungen unvermeidlich. Deshalb, so das Ergebnis der Studie, sei ein gesundheitspolitischer Strategiewechsel hin zu einer einnahmenorientierten Ausgabenpolitik dringend geboten. Ein hierzu bereits gefordertes Mittel sei das Ausgabenmoratorium, mit dem das Ausgabenwachstum der GKV auf die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen aller Versicherten begrenzt werden soll. Zusätzlich zu berücksichtigen sei, dass die Versichertengemeinschaft insgesamt bereits in der laufenden Legislaturperiode signifikant altere. Um diesen Einfluss auf die Ausgabenentstehung neutralisieren zu können, sei es laut Studie notwendig, dass die Ausgaben pro Kopf jährlich um einen Abschlag von 0,4 Prozentpunkten hinter der Wachstumsrate der beitragspflichtigen Einnahmen zurückblieben (Download der Studie des IW unter "Links zum Thema").

Zusatzbeitragssatz 2029 bei knapp 5 Prozent

Der Beitragssatz zur GKV ist zweigeteilt. Neben dem gesetzlich fixierten "allgemeinen Beitragssatz" in Höhe von 14,6 Prozent zahlen die Mitglieder und Arbeitgeber einen "kassenindividuellen Zusatzbeitragssatz". Der Zusatzbeitrag soll damit die Finanzierungslücke zwischen den Beiträgen aus dem allgemeinen Beitragssatz und den tatsächlichen Ausgaben schließen. Wie hoch die Finanzierunglücke und damit der Zusatzbeitragssatz als Mittelwert über alle Kassen ausfallen wird, ermittelt jährlich der beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) angesiedelte GKV-Schätzerkreis als Eingabe für das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Das BMG legt daraufhin bis 01.11. des Jahres den "durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz" (vgl. "Links zum Thema") für das Folgejahr fest. Für das Jahr 2024 betrug er noch 1,7 Prozent. Ende 2024 prognostizierten die Experten des GKV-Schätzerkreises bereits einen notwendigen Zusatzbeitragssatz von 2,5 Prozent (Gesamtbeitragssatz: 17,1 Prozent) für 2025. "Tatsächlich ergibt sich aber bereits nach dem ersten Quartal ein mitgliedergewichteter Durchschnitt über alle Krankenkassen von 2,9 Prozent", heißt es in der Studie des IW. Dieser Anstieg drohe sich in den kommenden Jahren fortzusetzen. So rechne das IGES-Institut bei einem Zuwachs der nominalen Leistungsausgaben um jährlich 4,5 Prozent mit einem Anstieg des Zusatzbeitragssatzes von 2,9 Prozent auf 3,9 Prozent (Gesamtbeitragssatz: 18,5 Prozent) im Jahr 2029. Steigen die Ausgaben jährlich um 5 Prozent, drohe sogar ein Zusatzbeitragssatz von 4,6 Prozent (Gesamtbeitragssatz: 19,2 Prozent). Aber selbst dieses Szenario, so das IW, erscheine noch optimistisch, wenn der Schätzerkreis in diesem Jahr ein Ausgabenwachstum von 6,8 Prozent unterstellen werde (BAS, 2024).

Studie unterstützt Forderung nach Ausgabenbegrenzung

Bislang, so die Studie, kreisten die politischen Debatten um die Frage, wie zusätzliche Beitragseinnahmen für die GKV erzielt werden können - zum Beispiel über eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze BBG (vgl. "Links zum Thema"). Dieser ausgabenorientierten Einnahmenpolitik liege eine Denkweise zugrunde, nach der die gesundheitspolitische Aufgabe vorrangig in der Sicherstellung einer hinreichenden Finanzierung gesehen wird. Allerdings verorteten volkswirtschaftliche Analysen das Problem eher auf der Ausgabenseite. Für eine Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung wäre demnach eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik notwendig. Dahinter steht die Idee, dass nicht länger das Ausgabenwachstum die Finanzierungserfordernisse bestimmt, sondern umgekehrt das Wachstum der beitragspflichtigen Einnahmen das Ausgabenwachstum begrenzen soll. Diesem Sinn entspräche auch die Forderung des GKV-Spitzenverbandes nach einem Ausgabenmoratorium.

GKV-Spitzenverband warnt Politik vor 3-Prozent-Schwelle

"Die Politik muss rasch handeln, denn sonst werden die Zusatzbeiträge zum ersten Januar die Drei-Prozent-Schwelle überspringen", warnt Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbands, mit Blick auf die heutige Sitzung des Koalitionsausschusses. Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen erklärt er: "Eigentlich ist die Sache doch recht einfach: Wir brauchen eine Gesetzgebung, die verhindert, dass die Krankenkassen immer wieder mehr ausgeben müssen, als sie einnehmen. Der Kostenanstieg muss wieder auf ein Normalmaß zurückgeführt werden." Unter den Begriff des "Ausgabenmoratoriums" fasst er die Maßnahmen zusammen: "Durch so ein Ausgabenmoratorium müsste keine einzige Leistung gestrichen werden, aber die Beitragsspirale wäre durchbrochen." Mit dem Ausgabenmoratorium, so Blatt, dürften künftig die Preis- und Honorarzuwächse nicht mehr schneller steigen als die Einnahmen der Krankenkassen. Damit wäre weiterhin Luft für den Ausgleich der Inflation und Tarifentwicklungen, aber Ausgabensteigerungen von zehn Prozent und mehr wären vom Tisch, denn "kein Gesundheitssystem der Welt hält das auf Dauer aus. Nur wenn die Politik kurzfristig handelt, können die Krankenkassenbeiträge im nächsten Jahr insgesamt stabil bleiben. Das wäre für die Versicherten und die Wirtschaft ebenso gut wie notwendig".

Ersatzkassen: Politik geht grundsätzliche Probleme nicht an

Kritik an der Bundesregierung äußern offen auch die Ersatzkassen. Auch mit den im Haushaltsplan vorgesehenen Darlehen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die soziale Pflegeversicherung (SPV) würden die grundsätzlichen Probleme nicht angegangen. Durch die Darlehen werde verschleiert, dass der Staat der GKV und SPV Geld für versicherungsfremde Leistungen schuldet (vgl. "Links zum Thema"). Allein die vollständige Erstattung der Gesundheitskosten für Bürgergeldempfangende brächte der GKV rund zehn Milliarden Euro jährlich. In der SPV kommen die Beitragszahlenden unter anderem für die soziale Absicherung pflegender Angehöriger auf (rund 4,5 Milliarden Euro jährlich), die mit Steuergeld bezahlt werden müsste. Die Refinanzierung der versicherungsfremden Leistungen gehörten zu den zentralen Maßnahmen für eine nachhaltige Finanzierung der beiden Sozialversicherungszweige. Zudem fordern auch die Ersatzkassen ein sofortiges Ausgabenmoratorium und "langfristige Strategien, die die Einnahmen und Ausgaben wieder ins Gleichgewicht bringen."


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