Sozialverband kündigt Musterklagen an

Teilfinanzierung des Bundeshaushaltes aus Beitragsgeldern ist verfassungswidrig

06.08.2025·Nach dem Kabinettsbeschluss zum Bundeshaushalt 2026 kündigt der Sozialverband VdK mehrere Musterklagen an. Vorrangig geht es um Beitragsgelder in Höhe von 5,2 Milliarden Euro, die von der Bundesregierung zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher und damit versicherungsfremder Aufgaben während der Pandemie aus der sozialen Pflegeversicherung entnommen, später aber nicht zurückerstattet wurden. Die daraus resultierende einseitige Belastung der Beitragszahlenden verstoße laut VdK gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Belastungsgleichheit.

Der am 30.07.2025 vom Bundeskabinett beschlossene Haushaltsentwurf für 2026 sieht nach Ansicht des Sozialverbandes VdK keine nachhaltige Lösung für die Finanzprobleme der Sozialversicherungen vor. "Der Haushaltsentwurf 2026 von Finanzminister Klingbeil verschärft die chronische Unterfinanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung", so VdK-Präsidentin Verena Bentele. "Statt im kommenden Haushaltsjahr lediglich ein zinsfreies Darlehen in Höhe von zwei Milliarden Euro bereitzustellen und weitergehende Bundeszuschüsse auszuschließen, fordere ich die Bundesregierung auf, erst einmal ihre Schulden bei den Pflegekassen zu begleichen". Derzeit prüfe der VdK Musterklagen seiner Mitglieder, da sich die Bundesregierung konsequent weigere, ihre Verpflichtungen gegenüber den Pflegekassen zu erfüllen.

Bentele: "Während der Corona-Pandemie wurden über den Ausgleichsfonds Gelder für gesamtgesellschaftliche Maßnahmen abgerechnet und nur zum Teil refinanziert. 5,2 Milliarden Euro sind noch offen. Das ist nicht hinnehmbar. Dieser Zugriff auf die Beitragsgelder verletzt das aus dem Grundgesetz abzuleitende Gebot der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und stellt damit eine verfassungswidrige Zweckentfremdung dar. Dass der Bund die Rückzahlung konsequent verweigert, erweckt den Eindruck, dass er bewusst Spardruck auf die Pflegeversicherung ausüben möchte. Das wäre klar abzulehnen."
Hintergrund
In der jüngeren Gesetzgebung gibt es die Tendenz, dass Beitragsmittel aus der Sozialversicherung zu sozialversicherungsfremden Zwecken eingesetzt werden. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind jedoch grundsätzlich über Steuern zu finanzieren; ein Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge bleibt verwehrt, weil ansonsten Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts verwendet würden.

Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt einen sachlich einleuchtenden Grund dafür, dass ein Privater im Unterschied zu anderen Privaten über seine Steuerpflicht hinaus zu einer Abgabe herangezogen wird. In der Sozialversicherung, so der VdK gegenüber kkdirekt, könne sich dieser aus der Abdeckung des jeweiligen Risikos ergeben. Im vorliegenden Fall sei dies aber nicht gegeben. Es gehe nicht um Aspekte im "Binnenbereich der Sozialversicherung", sondern um eine gesamtgesellschaftlich relevante Krisenbewältigung während einer Pandemie. Der Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge sei in diesem Kontext nicht zulässig.

Der Rechtsweg selbst kann nur im Rahmen eines Individualrechtsstreits vor den Sozialgerichten beschritten werden. Erst nach Erschöpfung dieses Rechtsweges wäre dann nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zulässig.
Gutachten stützt Klageabsicht des VdK

Die geplanten Musterklagen werden gestützt durch ein Gutachten von Prof. Dr. Dagmar Felix von der Universität Hamburg. Laut VdK kommt die Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Sozialrecht zu dem Ergebnis, dass ein Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge verwehrt ist, wenn diese zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts verwendet würden. Ein möglicher Klageweg sei es, die Beitragserhebungen "der Höhe nach" rückwirkend durch ein Überprüfungsverfahren entsprechender Verwaltungsakte gemäß § 44 SGB X anzugreifen.


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