30.000 Neuinfektionen am Tag. 600 Corona-Tote täglich. Dazu das Wissen, dass selbst ein sofortiger Lockdown die Zahlen erst in zwei bis drei Wochen deutlich sinken lasse - "Ein Zögern und Warten auf Weihnachten ist schier unverantwortlich", so DIVI-Präsident und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, Prof. Uwe Janssens. "Worauf warten wir noch?", fragt er. "Weitere 14 Tage nach dem Motto ´Augen zu und durch!´ erscheinen angesichts der heutigen Zahlen nicht mehr nachvollziehbar." Er rechnet vor: "Wenn wir die kommenden zwei Wochen jeden Tag im Schnitt 30.000 Neuinfektion haben, verzeichnen wir an Weihnachten etwa 420.000 Corona-Infizierte. Die sich daraus ableitenden Zahlen an Krankenhauspatienten und schwerst erkrankten Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, wird dann nicht mehr adäquat zu behandeln sein." Man bereite sich bereits auf Priorisierungs-Situationen vor.
Maßnahmen in Nachbarländern zeigen WirkungBereits vor einigen Tagen hatte die Nationale Akademie der Wissenschaften "Leopoldina" einen dringenden Appell an die Politik gerichtet und vor dem Hintergrund der weiterhin hohen und noch steigenden Infektionszahlen mit einer Ad-hoc-Stellungnahme den zeitnahen harten Lockdown gefordert (vgl. "Links zum Thema"). Erfahrungen in anderen Ländern im Umgang mit der Pandemie zeigten, dass schnell eingesetzte, strenge Maßnahmen über einen kurzen Zeitraum erheblich dazu beitrügen, die Infektionszahlen deutlich zu senken und niedrig zu halten, um die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückzuerlangen. Die Experten der Leopoldina machten darauf aufmerksam, dass auch aus wirtschaftlicher Perspektive verschärfte Maßnahmen sinnvoll sei: Zwar erhöhten sich durch einen harten Lockdown kurzfristig die Wertschöpfungsverluste, aber zugleich verkürze sich der Zeitraum, bis die Neuinfektionen so weit gesunken sind, dass Lockerungen möglich seien.
"Es genügt der Blick nach Belgien, Frankreich, Irland, um zu erkennen, dass harte Lockdown-Maßnahmen tatsächlich in der Lage sind, die hohen Infektionszahlen zu beherrschen", so der designierte Präsident der DIVI, Prof. Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen. Diese Erkenntnisse müssten genügen, um endlich nach Wochen des Zögerns durchgreifend das Virus zu bekämpfen.
Bundesweit handeln - Ressourcen nicht verspielenWichtig ist den Medizinern ein konzertiertes und gemeinsames Handeln aller Bundesländer. Auch der Norden Deutschlands, der derzeit noch wenig betroffen sei, müsse mitziehen, erklärt DIVI-Vorstandsmitglied Prof. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. "Wir brauchen die Möglichkeit einer Reserve, um Patienten in weniger belastete Regionen in Deutschland verlegen zu können." Denn bereits jetzt müssen sich einzelne Kliniken in Deutschland von der Notfallversorgung abmelden und sind teilweise lange Transportzeiten für Notfallpatienten erforderlich, bis das nächste Krankenhaus mit freien Behandlungskapazitäten erreicht wird. "Auch können dringend notwendige Operationen zum Beispiel bei Krebserkrankungen oder Herzerkrankungen bereits in einigen Versorgungsgebieten nicht mehr zeitnah durchgeführt werden", weiß Kluge.
DIVI: "Am harten Lockdown führt kein Weg vorbei"Janssens fordert deshalb mit Blick auf die Gesamtsituation Deutschlands: "Die Belastungen auf den Intensivstationen haben ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr lange von Pflegern und Ärzten gestemmt werden kann. Wir befürchten einen körperlichen und psychischen Kollaps der Mitarbeiter, die nun schon seit Wochen diesen Anforderungen ausgesetzt sind. Wir brauchen jetzt einen durchgreifenden Lockdown. Daran führt kein Weg vorbei!"
