Bundesverfassungsgericht|16.07.2025

PRESSEMITTEILUNG

Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen Preisregulierungsmaßnahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes

Karlsruhe (kkdp)·Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden von pharmazeutischen Unternehmerinnen zurückgewiesen.


Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen verschiedene mit dem Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) ergriffene Maßnahmen zur Arzneimittelpreisregulierung. Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat der Gesetzgeber ein Bündel von unterschiedlichen Maßnahmen zur Sicherung der finanziellen Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite ergriffen. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Maßnahmen zur Begrenzung von Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich, die die pharmazeutischen Unternehmer nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen besonders belasten, namentlich den Herstellerabschlag, die Verlängerung des Preismoratoriums, die Regelungen zu Preisabschlägen bei neuen patentgeschützten Arzneimitteln (sogenannte Leitplanken), den Geltungsbeginn des gesetzlich festgelegten Erstattungsbetrags bei erstmaligem Inverkehrbringen eines Arzneimittels mit neuem Wirkstoff und den Kombinationsabschlag. Die Beschwerdeführerinnen sehen sich hierdurch im Wesentlichen in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Berufsfreiheit verletzt und sehen eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Verfassungsbeschwerden blieben ohne Erfolg. Sie sind teilweise unzulässig, da zum einen die Wahrung der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerden nicht ausreichend dargelegt und zum anderen keine ausreichend substantiierte Grundrechtsverletzung aufzeigt ist. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden zulässigerweise gegen den Herstellerabschlag und die Verlängerung des Preismoratoriums richten, sind sie unbegründet. Die bewirkten Grundrechtseingriffe sind gerechtfertigt. Insbesondere sind sie angemessen, da das gesetzgeberisch angestrebte Gemeinwohlziel - die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung - in der vorzunehmenden Interessensabwägung jeweils überwiegt.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerinnen sind pharmazeutische Unternehmer im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2197/23 (Beschwerdeführerin zu II.) stellt Arzneimittel her, die der Zulassungspflicht unterliegen, und hat die entsprechenden Zulassungen inne. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 1507/23 (Beschwerdeführerin zu I.) importiert der Zulassungspflicht unterliegende Arzneimittel und vertreibt sie in Deutschland. Sie wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden in unterschiedlichem Umfang gegen Regelungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, mit denen laut der Begründung des Gesetzentwurfs einer immer weiter wachsenden Lücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung begegnet werden solle.

Aus dem Maßnahmenbündel des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes greifen die Verfassungsbeschwerden diejenigen Maßnahmen auf der Ausgabenseite an, die die pharmazeutischen Unternehmer nach ihrer Ansicht besonders belasten:

1. Durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wurde § 130a Abs. 1b in das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) eingefügt, wonach die Krankenkassen von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2023 einen Abschlag in Höhe von 12 % des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer erhalten (Herstellerabschlag).

2. Gleichzeitig wurde ein bereits geltendes Preismoratorium verlängert, § 130a Abs. 3a SGB V. Erhöht sich der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers gegenüber dem Preisstand am 1. August 2009, erhalten die Krankenkassen für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel - nunmehr bis zum 31. Dezember 2026 - einen Abschlag in Höhe des Betrags der Preiserhöhung; dies gilt nicht für Arzneimittel, für die ein Festbetrag auf Grundlage des § 35 SGB V festgesetzt ist.

3. Darüber hinaus wurden die bestehenden am Zusatznutzen und dem Patentstatus der zweckmäßigen Vergleichstherapie orientierten Vorgaben für die Vereinbarung von Erstattungsbeträgen nach § 130b Abs. 3 SGB V geändert und zu Lasten der pharmazeutischen Unternehmer verschärft. Die Grundgedanken dabei sind vereinfacht dargestellt wie folgt: Besitzt ein neues patentgeschütztes Arzneimittel einen vergleichbaren Nutzen wie eine bestehende Vergleichstherapie, so darf der Erstattungsbetrag maximal zu 90 % der Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie führen. Besitzt ein neues patentgeschütztes Arzneimittel einen Zusatznutzen, führt dies nicht notwendig zu einem höheren Erstattungsbetrag als demjenigen der Vergleichstherapie (Leitplanken).

4. Nach § 130b Abs. 3a Sätze 1 und 2 SGB V gilt der nach § 130b Abs. 1 SGB V vereinbarte Erstattungsbetrag für alle Arzneimittel mit dem gleichen neuen Wirkstoff, die ab dem 1. Januar 2011 in Verkehr gebracht worden sind, ab dem siebten Monat (anstelle des 13. Monats) nach dem erstmaligen Inverkehrbringen eines Arzneimittels mit dem neuen Wirkstoff. § 130b Abs. 3a Sätze 3 bis 8 SGB V übernehmen den Geltungsbeginn ab dem siebten Monat auch für andere Fälle.

5. Ebenfalls wurde § 130e SGB V neu eingeführt (Kombinationsabschlag). Hiernach erhalten die Krankenkassen vom pharmazeutischen Unternehmer einen Abschlag in Höhe von 20 % des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers, wenn Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss benannten Kombination eingesetzt werden, es sei denn, der Gemeinsame Bundesausschuss hat festgestellt, dass die Arzneimittelkombination einen mindestens beträchtlichen Zusatznutzen erwarten lässt.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I. Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Leitplanken (1.), die Geltung des Erstattungsbetrags ab dem siebten Monat nach Markteintritt eines Arzneimittels (2.) und den Kombinationsabschlag (3.) richten, ist die Wahrung der Subsidiarität der jeweiligen Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend vorgetragen.

1. Die Beschwerdeführerin zu II. hat nicht ausreichend dargelegt, weshalb es ihr nicht zumutbar gewesen sein soll, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Leitplanken ein nach § 130b Abs. 4 SGB V eröffnetes Schiedsverfahren durchzuführen und gegebenenfalls fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen einen Schiedsspruch in Anspruch zu nehmen. Hierdurch ist eine verbesserte Entscheidungsgrundlage für das Bundesverfassungsgericht zu erwarten, insbesondere im Hinblick auf möglicherweise entscheidungserhebliche Tatsachenfragen. So ist unter anderem zu berücksichtigen, dass häufig Mischpreise verhandelt werden, weil die Nutzenbewertung für verschiedene Patientengruppen oder Anwendungsgebiete unterschiedlich ausfällt. Von der Praxis der Mischpreisbildung und einer sich gegebenenfalls daran anschließenden fachgerichtlichen Rechtsprechung kann es abhängen, inwieweit die pharmazeutischen Unternehmer insgesamt durch die angegriffenen Regelungen tatsächlich beschwert sind.

2. Soweit sich die Beschwerdeführerin zu I. gegen die Geltung des Erstattungsbetrags ab dem siebten Monat nach Markteintritt eines Arzneimittels wendet, hat sie nicht ausreichend dargelegt, weshalb von einem vorausgehenden fachgerichtlichen Rechtsschutzverfahren nicht eine für das Verfassungsbeschwerdeverfahren maßgebliche Aufklärung der Sach- und Rechtslage zu erwarten ist. Zwar knüpft die Regelung über den Geltungsbeginn des Erstattungsbetrags an die Regelungen zum Erstattungsbetrag selbst an und bestimmt dessen zeitliche Reichweite. Allerdings hängt das Ausmaß dieser Eingriffswirkung für die pharmazeutischen Unternehmer auch vom Eingriffsgewicht des Erstattungsbetrags selbst ab. Das wiederum kann erst unter Berücksichtigung der Konkretisierung, die die Festlegung von Erstattungsbeträgen durch Einigungsprozess oder Schiedsstellenverfahren erhält, abschließend bewertet werden. Auch das Eingriffsgewicht der Regelung zum Geltungsbeginn des Erstattungsbetrags lässt sich daher erst nach Festlegung des Erstattungsbetrags bewerten.

Dies gilt auch für pharmazeutische Unternehmer, die die Arzneimittel nicht als Inhaber entsprechender Zulassungen selbst herstellen, sondern importieren. Auch wenn die Beschwerdeführerin zu I. als Arzneimittelimporteurin in der Regel weder an der Vereinbarung des Erstattungsbetrags noch an einem Schiedsverfahren zur Festlegung eines solchen beteiligt ist, muss sie sich zunächst um fachgerichtlichen Rechtsschutz bemühen, auch wenn die Rechtsschutzmöglichkeiten für Arzneimittelimporteure gerichtlich bislang nicht geklärt sind.

3. Schließlich legen die Beschwerdeführerinnen bezogen auf den Kombinationsabschlag nicht ausreichend dar, weshalb sie nicht gehalten sind, sich vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zunächst vor den Fachgerichten zur Wehr zu setzen. Die Verfassungsbeschwerden richten sich insofern gegen ein neues Gesetz, dessen Auslegung und Anwendung fachgerichtlich bislang nicht geklärt ist, obwohl die Beurteilung, inwieweit die pharmazeutischen Unternehmer durch die angegriffene Regelung beschwert sind, von dieser Klärung abhängen kann. Die gesetzliche Regelung wirft eine Reihe von Auslegungsfragen auf, deren Beantwortung zunächst im Rahmen von möglichen Rechtsbehelfen vor den Fachgerichten zu erfolgen hat.

II. Hinsichtlich des Herstellerabschlags und des verlängerten Preismoratoriums sind die Verfassungsbeschwerden - soweit sie nicht bereits keine ausreichend substantiierte Grundrechtsverletzung aufzeigen und daher unzulässig sind - unbegründet.

1. Der durch den Herstellerabschlag bewirkte Eingriff in die Berufsfreiheit ist gerechtfertigt, er ist insbesondere materiell mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

a) Der Herstellerabschlag dient dem legitimen Zweck, die finanzielle Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Er ist auch geeignet, die Arzneimittelausgaben zu senken und damit einen Beitrag zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers führt der Herstellerabschlag zu Einsparungen in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die Einbeziehung der Arzneimittelimporteure in den Anwendungsbereich des Herstellerabschlags; dass auch die Erhebung des Herstellerabschlags auf importierte Arzneimittel zur Ausgabensenkung beiträgt, liegt auf der Hand. Der durch den Herstellerabschlag bewirkte Grundrechtseingriff ist auch erforderlich, um die legitimen Gemeinwohlzwecke zu erreichen. Ob noch andere, ebenfalls gleich wirksame Maßnahmen denkbar sind, hat das Bundesverfassungsgericht bei Kostendämpfungsmaßnahmen im Bereich des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu entscheiden.

b) Der durch § 130a Abs. 1b SGB V bewirkte Grundrechtseingriff wahrt insbesondere auch die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

aa) Vorliegend ist von einem mäßigen Grundrechtseingriff auszugehen. So dürfte der Regelung angesichts des im Raum stehenden Einsparvolumens von über einer Milliarde Euro, der Höhe des Abschlags von 12 %, des Geltungszeitraums der Herstellerabschläge in unterschiedlichen Formen zumindest seit dem Jahr 2002, der zusätzlichen Absicherung durch das Preismoratorium nach § 130a Abs. 3a SGB V zumindest seit dem Jahr 2009 und der dadurch bedingten fehlenden Ausweichmöglichkeit ein höheres als nur geringes Gewicht beizumessen sein, auch wenn gesetzlich angeordnete Preisabschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel als geringfügige Eingriffe qualifiziert wurden.

bb) Dem Eingriff steht mit der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung eine überragend wichtige Gemeinwohlaufgabe gegenüber, welche der Gesetzgeber nicht nur verfolgen, sondern der er sich nicht einmal entziehen darf. Soll die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems erreicht werden, stellt auch dessen Finanzierbarkeit einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems und bei der damit verbundenen Steuerung des Verhaltens der Leistungserbringer leiten lassen darf und muss.

cc) Bei Abwägung zwischen der durch den Herstellerabschlag bewirkten Belastung einerseits und der durch sie bewirkten Förderung des Gemeinwohlziels andererseits ist die angegriffene Regelung angemessen. Dies folgt schon aus der konkreten Förderung des mit überragendem Rang ausgestatteten Gemeinschaftsguts bei gleichzeitig mäßigem Eingriffsgewicht und weitem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. So ist zunächst die Einschätzung des Gesetzgebers, ohne gesetzliche Maßnahmen käme es zu einer wachsenden Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Einschätzung des Gesetzgebers, ohne gesetzliche Maßnahmen käme es zu einer wachsenden Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, fehlerhaft ist.

(1) Darüber hinaus sind die Besonderheiten des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu berücksichtigen.

(a) So wird das System der gesetzlichen Krankenversicherung in weiten Teilen nicht durch Marktkräfte gesteuert. Richten sich Leistungserbringer gegen Kostendämpfungsmaßnahmen, wenden sie sich gegen staatliche Maßnahmen, die nicht ihre eigene Tätigkeit und Leistung auf einem freien Markt betreffen; vielmehr geht es um ihre Beteiligung an dem umfassenden sozialen Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung, das aus Beiträgen der Versicherten finanziert wird und für dessen Funktionsfähigkeit der Staat die Verantwortung trägt. Den Gesetzgeber trifft systembedingt eine besondere Verantwortung für die Kostenstabilität der sozialstaatlich gebotenen gesetzlichen Krankenversicherung, welche ein im Umlageverfahren durch Versicherungsbeiträge finanziertes Gesundheitssystem zur medizinischen Vollversorgung von nahezu 90 % der Bevölkerung ist.

(b) Dies führt dazu, dass die Leistungserbringer in besonderem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung unterliegen. Diese sind Nutznießer des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung, welches ihnen größere wirtschaftliche Sicherheit vermittelt als ein freies Konkurrenzsystem. Das gilt insbesondere für die pharmazeutischen Unternehmer. Ihnen stehen mit den gesetzlichen Krankenkassen letztlich Nachfrager gegenüber, die ihren Versicherten zur Versorgung mit dem vom Vertragsarzt verordneten Arzneimittel verpflichtet sind.

(c) Ein schutzwürdiges Vertrauen der pharmazeutischen Unternehmer in die Beständigkeit der Preisgestaltungsregelungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung besteht allenfalls in geringem Maße. Dies gilt als Kehrseite der staatlichen Stabilisierungsverantwortung zunächst gegenüber Maßnahmen, die Strukturdefiziten im System der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenwirken sollen. Aber auch mit reinen Kostendämpfungsmaßnahmen ist zu rechnen, insbesondere wenn diese als Maßnahme in den jeweiligen Leistungsbereichen bereits bekannt waren, die Preisbildung schon vor Inkrafttreten der Neuregelung nicht frei gewesen ist oder vorausgehende Kostendämpfungsmaßnahmen "nachzubessern" beziehungsweise Konsequenzen aus deren Unzulänglichkeit zu ziehen sind.

(d) Dies gilt insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber diejenigen belastet, die aus seiner Sicht für die Kostensteigerungen besonders verantwortlich sind. Wenn es ihm darum geht, festgestellten oder drohenden übermäßigen Defiziten durch Kostendämpfung zu begegnen, ist es mit Blick auf die Angemessenheit von Bedeutung, wenn er auf diejenigen zugreift, die zumindest auch in besonderem Maße zu dem Defizit beitragen. Nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers, die vom Bundesverfassungsgericht lediglich auf Plausibilität zu überprüfen ist, beruhen die eingetretenen und künftig zu erwartenden Kostensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung gerade auf der überproportionalen Steigerung der Ausgaben im Arzneimittelbereich. So lag der Anstieg der Leistungsausgaben für Arzneimittel in den vergangenen zehn Jahren sechs Mal über dem Anstieg der Leistungsausgaben insgesamt pro Versichertem. Hiergegen im Verfahren vorgebrachte Berechnungen sind nicht geeignet, diese Einschätzung des Gesetzgebers zu erschüttern, denn sie nutzen andere Bezugspunkte und Berechnungsmethoden und gelangen so zu einem anderen Ergebnis. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass patentgeschützte Arzneimittel in besonderem Maße für die jüngsten Kostensteigerungen ursächlich seien, ist ebenfalls nicht offensichtlich fehlsam. Nach den allgemein verfügbaren und den im Stellungnahmeverfahren vorgelegten Zahlen ist der Anteil patentgeschützter Arzneimittel an den Umsätzen aller Arzneimittel, wie der Umsatz von Patentarzneimitteln, überwiegend überproportional gestiegen.

(e) Danach ist der Herstellerabschlag angemessen. Die besondere Verantwortung des Gesetzgebers für die Kostenstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und die besondere Einwirkung sozialstaatlicher Gesetzgebung auf die aus der Sicht des Gesetzgebers für die Kostensteuerung mitverantwortlichen pharmazeutischen Unternehmer spricht für ein deutliches Überwiegen des gesetzgeberisch angestrebten Gemeinwohlziels. Dieses wird durch die Maßnahme erheblich gefördert.

(2) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Grenzen der Zumutbarkeit wegen der Gefahr der Erdrosselung des betroffenen Wirtschaftszweigs überschritten wären. Auch wenn eine Kostendämpfung, insbesondere bei einer Ex-post-Betrachtung, in einem Umfang von 1,3 Milliarden Euro für sich genommen volumenmäßig erheblich ist, so liegt dennoch keine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze vor. Dies gilt nicht nur, weil nach den bislang vorliegenden Evaluationsberichten keine tatsächlichen Anzeichen für eine Instabilität der pharmazeutischen Industrie in Deutschland oder eine Gefährdung der Versorgungssicherheit im Arzneimittelbereich ersichtlich sind. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, dass die Preise für identische Arzneimittel in Deutschland bisher verglichen mit anderen europäischen Ländern im Schnitt höher ausfallen und weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass der bis zum 31. Dezember 2023 geltende Herstellerabschlag insoweit zu einer relevanten Marktveränderung geführt hat.

(3) Auch die Einbeziehung der Arzneimittelimporteure in den Herstellerabschlag ist nicht unangemessen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Bereich plausibel als ursächlich für den starken Ausgabenanstieg angesehen hat. Auch liegt es im Interesse der Versorgung der Versicherten und damit im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, Parallelimporte als wesentlichen Beitrag zum Erhalt des Wettbewerbs zu fördern, dabei aber zugleich die Wettbewerbswirkung durch Parallelimporte zu sichern. Um den Preisabstand zwischen Originalarzneimitteln und Parallelimporten zu wahren, müssen entsprechende Preisregulierungsinstrumente auch für diese gelten.

2. Die Beschwerdeführerin zu I. ist durch den Herstellerabschlag auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Zwar liegt eine Gleichbehandlung von Arzneimittelimporteuren und -herstellern vor, die in der Gruppe der pharmazeutischen Unternehmer zusammengefasst werden. Diese ist allerdings sachlich gerechtfertigt.

Vorliegend verbleiben die Rechtfertigungsanforderungen beim Willkürverbot, weil die Differenzierung weder an einer Person noch an einem Produkt, sondern nur am Vertriebsweg anknüpft und zudem in einen Sachbereich fällt, in welchem dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum zukommt.

Gemessen an diesem Maßstab scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG offensichtlich aus. Mit der Gleichbehandlung verfolgt der Gesetzgeber den sachlichen Grund der Kostendämpfung gerade im Bereich patentgeschützter Arzneimittel und bezieht darum auch Importeure von Patentarzneimitteln in die Kostendämpfungsmaßnahme mit ein. Eine generelle Ausnahme der Arzneimittelimporteure vom Herstellerabschlag erschwerte die Erreichung des Regelungszwecks.

3. Auch der durch die Verlängerung des Preismoratoriums bewirkte Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerinnen ist gerechtfertigt. Insbesondere ist das verlängerte Preismoratorium angemessen. Die Abwägung zwischen den Auswirkungen des Grundrechtseingriffs auf die pharmazeutischen Unternehmer einerseits und dem vom Gesetzgeber verfolgten legitimen Gemeinwohlziel andererseits ergibt ein Überwiegen des mit der Regelung verfolgten Gemeinwohlziels.

Mit dem verlängerten Preismoratorium, das in faktischer Hinsicht wie eine Preisobergrenze einzustufen ist, liegt zwar ein erheblicher bis schwerer Grundrechtseingriff vor. Die mit dem verlängerten Preismoratorium einhergehende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer steht aber nicht außer Verhältnis zur Bedeutung und Dringlichkeit der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies folgt aus der überragenden Bedeutung des Gemeinschaftsguts unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, die auch einen erheblichen bis schweren Eingriff rechtfertigen kann. Auch hierbei ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Betroffenen von der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung selbst profitieren und der sozialpolitischen Gesetzgebung besonders unterworfen sind. Zudem ist ebenfalls die besondere Ursächlichkeit der Abgabe gerade auch der patentgeschützten Arzneimittel für die eingetretenen und künftig zu erwartenden Kostensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beeinträchtigt zudem den Vertrauensschutz von pharmazeutischen Unternehmern nicht in besonderem Maße, da anlassbezogen an bekannte Kostendämpfmaßnahmen angeknüpft wird. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Grenzen der Zumutbarkeit wegen der Gefahr der Erdrosselung des betroffenen Wirtschaftszweigs überschritten wären.

4. Auch bei einer additiven Betrachtung der zulässig gerügten gesetzgeberischen Maßnahmen ergibt sich keine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerinnen.

Bei der Frage, ob eine rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbare Eingriffsintensität vorliegt, ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei dem mit den angegriffenen Regelungen verfolgten Ziel der finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung um ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel handelt, dessen Erreichung erheblich gefördert wird, und dass die pharmazeutischen Unternehmer als Nutznießer des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung in erhöhtem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung unterliegen. Darüber hinaus sind die Belastungen zeitlich begrenzt. Beeinträchtigungen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreiten, sind in der Zusammenschau nicht erkennbar.

Pressekontakt:

Herr Fabian Graf
Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts
Leiter der Pressestelle
Telefon: +49 (721) 9101-389
E-Mail: presse@bundesverfassungsgericht.de


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